Gut Ankommen
Die meisten werden diese Szene aus irgendeinem Western vergangener Jahrzehnte kennen: der „Indianer“, der nach einem Fußmarsch am Wegesrand sitzt und darauf wartet, dass auch die Seele hinterherkommt. Wer auf einem neuen Posten im Ausland ankommt, mag es vielleicht weniger esoterisch beschreiben, die Tatsache bleibt, dass der Schritt ins Ausland ein bedeutender Schritt ist.
Zeit ist es, was wir brauchen, um mit Körper, Geist und Seele am neuen Ort anzukommen. Nur: wer hat so viel Zeit, wenn sie oder er auf einem neuen Posten ankommt? Im Idealfall lässt sich der Urlaub voranstellen, so dass Zeit zum inneren wie äußeren Ankommen ist. In den meisten Fällen aber wartet der Job bereits, beginnt ggfs. für Kinder direkt die Schule, ist das Ankommen synonym mit: am neuen Ort funktionieren.
Ankommen im Ausland ist der Endpunkt eines Weges. Und gleichzeitig erst der Anfang. Das klingt wie eine banale Plattitüde. Jedoch weiß Jede:r, die/ der sich auf den Weg zu einer neuen Stelle im Ausland gemacht hat: man hat schon einen enorm aufwendigen Weg hinter sich (von der Entscheidung zu gehen bis zum Packen und Losfahren), dass es sich anfühlt, wie ein Ende und spürt zugleich: jetzt geht es erst los.
Relocations sind im besten Sinne „umwerfend“: sie verändern ziemlich viele Parameter unseres bisherigen Lebens. Wir müssen uns, vor Ort angekommen, auf die Gegebenheiten und Anforderungen unseres neuen Umfeldes einstellen. Mit diesem Anpassungsprozess gehen wir alle unterschiedlich um. Eine ganze Familie ins Ausland „zu verpflanzen“ kann das sehr eindrücklich illustrieren. Doch egal, ob wir zu denjenigen gehören, die an die „Heimat“ ab Tag der Ankunft wenig Gedanken verschwenden und sich mit allem, was ihnen zur Verfügung steht, in die neue Lebenswelt und die Arbeit stürzen oder zu denjenigen, die aus einem starken Gefühl der Verbundenheit mit der „Heimat“ das neue Leben distanzierter angehen; für alle gilt: 1. Anpassung bindet Kräfte und muss 2. geleistet werden. (zum Thema der individuellen Präferenzen sich an neuen Orten zu integrieren: s. Expat Typen)
Das heißt nicht, dass Anpassung per se schwierig ist. Aufregend, lustvoll, fesselnd, mitreißend und inspirierend: die ersten Monate erleben viele Neu-Ankommende als eine positive und stimulierende Phase, manche sogar als berauschend. Das haben Mendenhall et al schon in den 1990er Jahren in ihrer Forschung zu kulturellen Anpassungsprozessen als „honeymoon“ beschrieben. Wir sind im siebten Himmel und finden alles, was uns an Neuem begegnet schlicht super. Eine neue Phase des Anpassungsprozesses beginnt, wenn sich das Neue nicht mehr wirklich neu und auch nicht mehr bedingungslos „rosarot“ anfühlt. Oftmals sogar das Gegenteil: für manche geht dies auch einher mit dem Gefühl von Irritation und Überdruss. Dieser Verlauf ist für den kulturellen Anpassungsprozess vielfach beschrieben worden als ‚culture shock‘.
Aus unserer Praxis der Begleitung internationaler Unternehmen und deren Führungskräften an ihren Auslandsstandorten wissen wir, dass dieser Anpassungsprozess neben der Gewöhnung an die Kultur des Gastlandes mit Ihren Werten und Normen ebenso direkt zu tun hat mit dem professionellen Ankommen.
Schon in den 1960er Jahren sprachen Francis C. Byrnes und W. Smalley vom `role shock´ und vom `language shock´. Der ‚role shock‘ betrifft direkt den beruflichen Kontext, das Ankommen in der neuen Position im neuen Kontext. Mit dem Standortwechsel verschieben sich auch hier viele Parameter: zwar ist das Unternehmen das gleiche, aber berufliche Netzwerke verändern sich und müssen neu aufgebaut werden,
unternehmensinterne Kommunikations- und Kooperationsgeflechte definieren sich neu. Die Tatsache, sich an einer neuen Stelle im Unternehmensorganigramm zu befinden, kann erhebliche Auswirkungen haben auf unser Erleben des Unternehmens und dessen Einfluss- und Entscheidungsstrukturen. Mit einem Standortwechsel geht definitiv ein Perspektivwechsel einher. Im Anpassungsprozess muss dieser vollzogen werden.
Der sogenannte ‚language shock‘ tritt ein, wenn nach der ersten Euphorie deutlich wird, welchen Einfluss die sprachliche Unterschiede am Arbeitsplatz haben: auf unser Vermögen mit allen Kolleg:innen und Peers Arbeitsprozesse und Teammeetings und Konferenzen zu gestalten, auf Verständigung, Klarheit und auf unser Empfinden von Effizienz. Auch in Unternehmen, die Englisch als Lingua Franca nutzen, lassen sich diese Phänomene nicht aus der Welt schaffen. Unterschiedliche Sprachniveaus in der Lingua Franca, mündliche versus schriftliche Sprachkompetenz, sprachliche Parallelkulturen sind nur einige der Phänomene, die internationale Manager handeln müssen. Der Anpassungsprozess beinhaltet hier, einen Umgang mit der Mehrsprachigkeit und den daraus resultierenden Phänomenen zu finden (mehr dazu: s. Lingua Franca und alles klar?
Der Anpassungsprozess ist durchaus mehrschichtig und betrifft viele Ebenen des Führungsalltags.
Was ist eine gelungene Anpassung? Ist Anpassung etwas, das ich mit mir allein abmache? Oder ist mein Anpassungsprozess auch ein Verhandlungsprozess mit meiner neuen (und ja gleichzeitig auch alten) beruflichen Umgebung? Ist das Ziel die möglichst große Angleichung? Wer im Unternehmen erwartet evtl. welche Form der Anpassung – oder auch gerade nicht? Letzteres verweist auf den Aspekt, dass Unternehmen durchaus spezifische Intentionen mit Entsendungen verfolgen, evtl. auch Effekte haben bzgl. der gewünschten Positionierung im Gastland.
Den Anpassungsprozess durchlaufen wir alle. Dies kann mehr oder weniger bewusst und reflektiert gestaltet werden, und mehr oder weniger aktiv. Anpassung geschieht über viele Momente und Situationen im Alltag. Vorbereitungskurse vor der Abreise können sensibilisieren, aber einen Anpassungsprozess nicht vorwegnehmen.
Unternehmen können internationale Standortwechsel aktiv begleiten und unterstützen mit einer auf das internationale Onboarding ausgerichteten Unterstützung entsandter Führungskräfte.
Onboarding an einem internationalen Standort ist ein vielschichtiger Prozess, der
- viel mit der unbekannten Kultur des Gastlandes zu tun hat
- aber ebenso viel mit der unternehmensinternen Neuausrichtung und Neuaufstellung des/ der Ankommenden im neuen Kontext
- und damit, Strategien und Lösungen zu finden für die Spezifika der internationalen Führungstätigkeit.
Vor Ort und direkt eingebunden in den Führungsalltag ist die Unterstützung am effektivsten, weil so eine direkte Verknüpfung von Erleben, Reflexion und Strategieerarbeitung, Transfer und direkter Auswertung gewährleistet ist.
So lässt sich das Ankommen optimieren. Und schneller ist es auch. Follow the ‘Fast track to Integration’.